Kindheit und Schule

Einige unserer Erzähler leiden seit frühester Kindheit und manche auch seit Geburt unter ihren Anfällen und deren Folgen. Für manche liegen die Erlebnisse aus der Kindheit schon weit zurück, dennoch erlebten sie gerade in dieser Zeit oft viele für sie eindrückliche Situationen.

Auch einige von denen, deren Anfälle in ihrer Jugendzeit zum ersten Mal auftraten berichten davon, wie ihre Erkrankung und die Umstellungen in der Folgezeit auf ihren Schulalltag, auf das Verhalten ihrer Eltern und das ihrer Geschwister und Freundschaften Einfluss nahm.

Einige Erzähler berichten, dass die Eltern die ersten waren, die bemerkten, dass bei ihrem Kind etwas nicht in Ordnung war, sie selbst aber zunächst nichts davon mitbekamen (siehe auch: Erste Anfälle und Diagnose).

Andere fühlten sich merkwürdig unwohl, konnten die Gefühle aber nicht genau beschreiben. Die meisten dieser Erzähler berichten, dass ihre Eltern besorgt reagierten, aber nicht bei allen wurde gleich eine Krankheit vermutet.

Daniela Weber war es als Kind sehr schwer sich verständlich zu machen und dachte, sie hätte Bauchweh.

Für viele der Interviewpartner, bei denen in sehr jungen Jahren eine Epilepsie diagnostiziert wurde, blieb dieser Begriff zunächst ein Fremdwort. Einige Erzähler berichten, dass sie sich erst im Jugendalter mit dem Wort und seiner Bedeutung wirklich auseinander setzten. Für einige gingen damit Gefühle des Selbstzweifels einher, andere beschreiben, dass sie irgendwann lernten, mit der Situation zu Recht zu kommen. Viele verspürten auch Ängste wegen der Anfälle und beschreiben, dass sie nicht verstanden, was da mit ihnen passierte.

Anton Huber empfand die Diagnose in der Pubertät als lebensbedrohlich.

Einige erhielten die Diagnose erst später, weil auf Grund ihrer Anfallsformen nicht gleich eine Epilepsie festgestellt wurde oder weil sie in einer Zeit in Deutschland aufwuchsen, in der es besser war die Erkrankung zu verschweigen. So erinnert sich Magarete Ziegler, dass in ihrer Familie in der Zeit des Dritten Reichs nicht über ihre Erkrankung gesprochen wurde.

Andere berichten, dass sie aufgrund der Tatsache, dass die Erkrankung in ihrer Kindheit lange Zeit nicht diagnostiziert werden konnte, in ihrer Kindheit nur wenig eingeschränkt wurden.

Anna Blum ist ein bisschen erleichtert, dass sie durch Fehldiagnose eine unbeschwerte Kindheit erlebte.

Einige Erzähler weisen darauf hin, dass es auch von den Anfallsformen abhängig ist, wie sehr die Einschränkungen als Kind empfunden werden. Nicole Winter erzählt, dass sie die Epilepsie nicht als Krankheit wahrnahm und darum kaum belastet fühlte. Viele Erzähler spürten aber, dass es für die Eltern schlimm war zu erfahren, mit der Erkrankung des Kiindes konfrontiert zu werden. Häufig fühlten sie sich durch die Eltern, die in Sorge um sie waren, überbehütet und mussten sehr für ihre eigenen Freiräume kämpfen. Andere bemerkten zwar, dass sich ihre Eltern sorgten, erlebten aber dadurch keine Einschränkungen.

Katharina Sommer erfuhr im Nachhinein, dass ihre Mutter dafür gesorgt hatte, dass sie an einem Schulausflug teilnehmen kann.

Unsere Erzähler, die mit Geschwistern aufwuchsen berichten sehr unterschiedlich davon, wie diese mit ihrer Erkrankung umgingen. Für einige Geschwister stellte das Leben mit einer Schwester oder einem Bruder mit Anfällen eine besondere Herausforderung dar.

Claudia Hartmanns Geschwistern setzte es zu, dass ihre Schwester anders behandelt wurde.

Katharina Sommer wurde von ihrem Zwillingsbruder unterstützt.

Margarete Ziegler litt unter den Hänseleien ihrer Schwestern.

Viele erzählten, dass es als Kind häufig schwer war sich an die strengen Vorgaben der Medikamenteneinnahme zu halten. Gerade dass die Einnahme immer zu bestimmten Zeiten stattfinden musste erlebten einige als belastend. Einige erzählen auch, dass es ihnen gut gelang sich an die regelmäßige Einnahme zu halten. Daniela Weber erzählt, dass sie sehr gut mit ihrer Medikamenteneinnahme zurechtkam und diese selbst managen konnte. Katharina Sommer erinnert sich amüsiert daran, wie häufig sie an die Medikamenteneinnahme erinnert werden musste. Häufig wurden die Medikamente jedoch als einschränkend erlebt und einige erzählen auch, dass sie sich daran erinnern, wie schwer es war als Kind den Sinn der Medikamenteneinnahme zu verstehen.

Monika Schulz war als Jugendliche elf Jahre anfallsfrei und fühlte sich gesund.

Darüber hinaus erzählen die meisten, dass die Medikamente und die Nebenwirkungen Einfluss auf ihren Schulalltag hatten. Viele berichten, dass sich nicht nur ihre Leistungen verschlechterten, sondern auch ihr Verhalten veränderte. Manuela Walter erzählt, dass sie regelmäßig in der vierten Schulstunde auf der Bank lag und schlief.

Katharina Sommer empfand es früher als ungerecht, dass sie durch die Medikamente eingeschränkt war.

Sarah Schneider erinnert sich, wie sie sich durch die Medikamenteneinnahme als Kind veränderte.

Andere berichten, dass die Medikamente sie den Mitschülern gegenüber aggressiv machten. Florian Beck erzählt, dass seine Mutter das Medikament, das er als Siebenjähriger bekam, Teufelszeug nannte, weil es ihn aggressiv und launisch gemacht habe.

Aber auch das Verhalten der Mitschüler trug bei vielen dazu bei, dass manche sich unwohl fühlten. Viele Interviewpartner beschreiben, dass sie auf Grund der Anfälle oder allein, weil andere wussten, dass sie Epilepsie haben, in der Schule und von anderen Kindern gehänselt wurden. Einige beschreiben, wie sich Freunde langsam von Ihnen zurückzogen oder dass sie nur noch wenige Freunde hatten, die Verständnis für ihre Situation aufbrachten. Andere berichten aber auch von Mitschülern und Freunden, die sich um sie kümmerten. Christian Voss wurde häufig von Kindern außerhalb der eigenen Schulklasse gehänselt und gepiesackt, aber der Klassenverbund in seiner eigenen Klasse war gut und er hatte Freunde, die hinter ihm standen.

Tobias König erlebte bei seinem Schulwechsel, dass er von den Schülern, die ihn noch nicht kannten, nicht verstanden wurde.

Manuela Walter erlebte, dass ihre Urlaubsfreunde sich um sie kümmerten.

Viele unserer Interviewpartner, die in der Kindheit oder Jugend Anfälle erlebten, spüren heute noch die Folgen des Kummers und der Sorgen, die sie damals begleiteten.

Monika Schulz erzählt, wie sie die Hänseleien in der Kindheit verinnerlichte, und wünscht sich Selbstvertrauen.

Da manche Interviewpartner Anfälle hatten, die weitgehend von den anderen unbemerkt blieben, konnten sie diese in der Schule verschweigen. Andere konnten das nicht.

Cornelia Schmitts Mutter erzählte ihr, dass ihre Klasse nach einem ihrer Anfällen nach Hause geschickt wurde.

Nicht nur von den Mitschülern erlebten unsere Interviewpartner häufig Ablehnung. Auch die Lehrer gingen sehr unterschiedlich mit ihren Schützlingen um. Einige der Erzähler konnten dem zwar entgehen, jedoch erinnern sich einige an besondere Situationen mit Lehrern, an Unverständnis wie auch verständnisvolle Reaktionen.

Doch nicht alle kamen in die Situation, dass andere etwas von ihren Anfällen mitbekamen, oder dass Mitschüler diese oder die Folgen der Medikamenteneinnahme miterlebten. Bei Barbara Haas tauchten die Anfälle erst im Jugendalter auf. Sie stand kurz vor einer Reise in die USA und so bekam niemand etwas davon mit. Daniela Weber wurde zu Hause aufgefordert mit niemanden über die Epilepsie zu sprechen.

Margarete Zieglers gab sich irgendwann dem Unmut ihres Lehrers und den schlechten Zensuren hin.

Manuela Walters Lehrerin wollte sie nach einem Zwischenfall nicht mehr auf der Schule haben.

Sven Franke wollte andere nicht mit seinen Problemen belasten.