Berufstätigkeit und Berentung

Während einige unserer Interviewpartner erzählen, dass die Epilepsie keinerlei Auswirkungen auf ihr Berufsleben habe, berichten andere von erheblichen Einflüssen und Veränderungen durch die Anfallskrankheit (siehe auch Thementext „Berufswahl und Ausbildung“).

Die Anfälle und ihre Begleiterscheinungen oder die Nebenwirkungen der Medikamente hatten Folgen für ihre Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit und ihre beruflichen Einsatzmöglichkeiten. Das Auftreten von Anfällen während der Arbeitszeit oder die ständige Angst davor begleitete viele unserer Erzähler. Die Anfälle waren häufig mit unangenehmem Aufsehen, Krankschreibung und Störungen für den Betrieb verbunden. Viele schildern das Berufsleben mit Epilepsie als einen ständigen Kampf. Als sehr anstrengend und verunsichernd wurde auch beschrieben, wenn die Medikamente bei voller Arbeitstätigkeit umgestellt wurden, um Fehlzeiten zu vermeiden. Einige Interviewpartner sind der Meinung, dass sie ohne die Epilepsie viel mehr Chancen und Erfolg im Berufsleben hätten haben können.

Julia Brandt musste an ihrer Arbeitsstelle sehr gegen die Aggressivität als Nebenwirkung des Antiepileptikums kämpfen.

Für Alexandra Ludwig war es sehr unangenehm, einen Anfall in einer Leitungsrunde zu haben.

Für Sarah Schneider brachten die Erfahrungen mit ihrer Epilepsie einen Zugewinn für ihren Beruf als Apothekerin.

Sarah Schneider kann sich durch ihre Erkrankung besser in ihre Kunden hineinversetzen.

Ein großer Teil der Interviewpartner berichtet, dass sich die Epilepsie nicht nur bei ihren Chancen am Arbeitsmarkt (siehe auch Thementext „Berufswahl und Ausbildung“), sondern auch bei ihrer Stellung im Betrieb und ihren Beziehungen zu Kollegen und Vorgesetzten bemerkbar machte. Viele erzählen von sehr guten Erfahrungen mit Kollegen und Vorgesetzten, die die Erkrankung selbstverständlich akzeptieren, einfühlsam und umsichtig mit Anfällen umgehen können und darauf Rücksicht nehmen, wenn die betreffenden Personen einmal ausfallen.

Christian Voss wird von allen Kollegen am Arbeitsplatz unterstützt, so dass die Gefahren minimiert sind.

Andere berichten, dass sie sehr um ihre Position kämpfen mussten, um respektiert zu werden und beruflich benachteiligt oder sogar deutlich diskriminiert wurden. Wenn sie einen Schwerbehindertenstatus hatten, bekamen sie vermittelt, dass ihre Arbeit nicht vollwertig sei oder sie eine Belastung für den Betrieb darstellten. Entsprechende Vergünstigungen wie zusätzliche Urlaubstage oder Arbeitszeiten ohne Schichtdienst erregten gelegentlich Neid. Einige Interviewpartner erzählen, dass sie nie direkt und greifbar diskriminiert wurden, trotzdem aber den Eindruck haben, dass Vorgesetzte sie benachteiligen und im Hintergrund halten wollten oder Angst vor den Anfällen hatten. Christine Becker hatte den Eindruck, dass sie, seit sie anfallsfrei ist, am Arbeitsplatz viel ernster genommen wird.

Christine Becker musste bei einer Welle des Personalabbaus um ihren Posten kämpfen.

Manuela Walter hatte einige unangenehme, aber auch viele unterstützende Kollegen.

Da er zumeist nachts Anfälle hatte, glaubten die Arbeitskollegen von Timo Lindner nicht, dass er eine Epilepsie habe.

Ein wichtiges Thema war der Umgang mit Stress und Belastungsspitzen im Beruf. Einige Interviewpartner erzählen, dass sie selten während solcher Zeiten der akuten Anspannung Anfälle bekamen, sondern meist erst in den Ruhephasen danach. Um sich besser erholen und damit auch die Anfallsgefährdung reduzieren zu können, verringerten einige mit Erfolg ihre Arbeitsbelastung. Frank Herrmann merkte, dass er letztlich genauso leistungsfähig ist, wenn er die Arbeit mit größerer Ruhe angeht.

Susanne Schäfer hat ihre Arbeitsbelastung deutlich reduziert und fühlt sich damit sehr wohl.

Einige Erzähler holten sich fachliche Hilfe, um die Sicherheit an ihrem Arbeitsplatz zu verbessern (siehe auch „Netzwerk Epilepsie und Arbeit") .

Anja Bauer schaltete bei Arbeitsantritt das „Netzwerk Epilepsie und Arbeit“ zur Aufklärung und Arbeitsplatzbegehung ein.

Aus Furcht vor Diskrimierung oder auch wegen einschlägiger Erfahrungen der Benachteilung bei Bewerbungen und am Arbeitsplatz entschlossen sich einige Interviewpartner, nichts von ihrer Erkrankung zu erzählen (siehe auch Thementext „Berufswahl und Ausbildung“ und „Reden über Anfälle“), vor allem dann, wenn sie schon länger anfallsfrei sind oder die Anfälle vorwiegend nachts oder außerhalb der Arbeitszeit auftreten (zur Regelung der Mitteilungspflicht siehe Netzwerk Epilepsie und Arbeit). Einige Interviewpartner sind sich völlig sicher, dass es ihre Karriere oder gar ihre Stellung kosten würde, wenn ihre Epilepsie öffentlich würde – auch dann, wenn damit keinerlei Sicherheitsrisiko für andere Menschen oder eine Leistungseinschränkung verbunden ist.

Bei einem Arbeitgeber entschied Barbara Haas sich, nur von einer neurologischen Erkrankung zu sprechen.

Stefan Köhler konnte schwer akzeptieren, gekündigt zu werden, weil er ein einziges Mal im Anfall einen Fehler machte.

Andere Interviewpartner informieren ihre Kollegen und Vorgesetzten umfassend, um sie auf Anfälle vorzubereiten und ihnen zu vermitteln, was sie im Fall eines Anfalls tun sollen. Sven Franke meint, dass er sich viel weniger verletzbar macht, wenn er seine Anfallserkrankung offen auf den Tisch legt. Er berichtet von guten Erfahrungen damit, jedem zu erzählen, was er wissen möchte.

Cornelia Schmitt ist es wichtig, niemanden mit ihren Anfällen zu überraschen.

Aylin Stein informierte ihre Kolleginnen und die Chefin, was bei Anfällen während der Arbeit passieren kann.

Einige unserer Erzähler beziehen aufgrund der Erkrankung eine zeitbefristete oder dauerhafte Rente. Der Übergang in die Rente kam bei manchen ohne Vorankündigung und ohne die geringste Möglichkeit, sich darauf einzustellen. Dies war vor allem dann der Fall, wenn sofort mit dem ersten Auftreten der Anfälle keine Arbeitsfähigkeit mehr gegeben war wie bei Martin Krüger und Renate Lang. Dies war besonders schwer zu verkraften.

Renate Lang fand es hart, ganz unvorbereitet und plötzlich Rentnerin zu werden.

Für Martin Krüger ist mit seinem Traumjob auch ein großer Teil seines vorherigen Lebens zusammengebrochen.

Bei anderen war der Übergang in die Rente ein längerer Prozess, bei dem sie sich langsam eingestehen mussten, überfordert zu sein. Manche Interviewpartner fühlten sich von ihren Kollegen oder Vorgesetzten aus dem Arbeitsleben gedrängt, obgleich sie selbst keine Leistungseinbußen bei sich feststellen konnten. Hierzu schildern einige Erzähler ihre Gefühle der Kränkung und Verbitterung.

Angelika Koch fühlte sich nach Auftreten der Epilepsie langsam aus ihrer Arbeitsstelle herausgeekelt.

Heike Brinkmann wehrte sich lange gegen die Rente.

Für andere brachte die Rente die ersehnte Entlastung aus einer andauernden Überforderung und somit eine neue Lebensqualität.

Mehrere Erzähler mussten sich ihre Rente oder betriebliche Abfindung mit Hilfe eines Rechtsanwalts erkämpfen, machten damit jedoch auch unterschiedliche Erfahrungen.

Oliver Lorenz hatte bei der Berentung Hilfe von einem Rechtsanwalt.