Weil eine Bekannte wegen ihrer AD(H)S gehänselt wurde, verschweigt Tessa Ruth meist ihre Erkrankung.

Tessa Ruth: Die Sache ist, dass ich eine Freundin habe, die auch ADHS hat und die macht das halt ganz öffentlich so. Und wenn die da irgendwas macht: „Ja, die ist ja auch so ein scheiß ADHS-Kind." Oder sowas. Ich bin mit ihr in die Grundschule gegangen und unser Schulleiter hat gesagt: „Also ADHS gibt es ja gar nicht. Und die Eltern sind nicht in der Lage ihre Kinder zu erziehen." Und ich glaube, sowas würde mich so wütend machen, wenn jemand sagt, ich bin nur nicht richtig erzogen oder ich würde zu viel vor dem Fernseher sitzen. Ja, meine Mutter hat sich bewusst gegen einen Fernseher entschieden, damit ihr keiner nachsagen kann, ihre Kinder würden zu viel Fernsehen schauen. Was wollte ich jetzt sagen, ich habe den Faden verloren.
Interviewer: Macht doch nichts. Ob du schon mal erlebt hast, dass jemand...

Tessa Ruth: Genau, also es ist so, dass, wie gesagt, da ich es nicht öffentlich mache, habe ich das auch noch nicht persönlich erfahren. Ich habe es halt bei anderen beobachtet. Und auch also die Öffentlichkeit, das ist einfach so, ADHS (...) (unverständlich) in die Schublade gesteckt. Wenn da jemand sagt, er hat ADHS oder so, da wird oft so Scherze darüber gemacht: „Ja, von wegen wahrscheinlich hast du ADHS oder sowas." So und das ist halt sowas, wenn das die Leute wissen würden und würden mir direkt ins Gesicht sagen: „ADHS gibt es gar nicht. Du bist einfach nur eine Mistgeburt." Oder sowas, keine Ahnung. Ich glaube, das würde mich so wütend machen. Ich habe gar nicht die Kraft dazu, mit den Leuten zu diskutieren und ihnen jedes Mal zu erzählen, was es bedeutet ADHS zu haben. Und das ist ganz klar keine Modeerkrankung, das müssen die jedes Mal wieder erklären, was ist ADHS genau und so. Und das kostet auch so viel Kraft, deswegen sage ich halt das ist einfach besser, ich möchte auch nicht gleich so abgewertet werden: „Die hat ADHS, die ist seltsam" (unverständlich). Und ich habe auch gemerkt, die Leute, die es nicht wissen, sagen nicht unbedingt. „Ja okay, ganz klar, die hat ADHS." Sondern es ist halt oft so, dass die Leute einfach sagen: „Ja, das ist Tessa, das ist halt Tessa" und das sie es auch gut finden. Sagen: „Ja, Tessa, ich finde gut an dir, dass du nicht so langweilig bist wie die anderen" oder „dass du so kreativ bist" oder „dass du so aufgeweckt bist" oder „ich finde es süß, wie verplant du bist", das sagen die Leute auch oft. Die sagen: „Ich finde das gut so wie du bist." Und das ist ja und ich würde nicht, ich würde es nicht deswegen. Ich habe zum Beispiel (...) (unverständlich). Also es ist wirklich so, was ich eigentlich brauche, ist mit jemanden da mal darüber reden zu können und auch mit einem anderen ADHSler austauschen zu können. Die Freundin, die ADHS hat, die weiß halt wirklich gar nichts. Der habe ich auch nicht erzählt, dass ich ADHS habe. Also wir passen deswegen gut zusammen, aber das habe ich ihr jetzt auch überlegt, dass wie gesagt ich rede eigentlich nur. Und ich brauche, denke ich mir immer so, es wäre schon ganz schön, da mal einfach darüber zu reden. Und genau, weil das so – und deswegen habe ich manchmal auch echt das Bedürfnis, das meinen Lehrern zu sagen. Und: „Hast du schon wieder deine Sachen nicht dabei? Hast du schon wieder deinen Kram verloren?" Und wenn sie dann sagen und „Tessa, guck dir deine Klausur an: wie unordentlich, ist alles durchgestrichen." Und hat mein Lehrer mir gesagt: „Das nächste Mal ziehe ich dir einen ganzen Punkt ab, wenn du nochmal so unordentlich bist. Kannst du nicht sauber mit Lineal durchstreichen?" Und ich weiß, dass ich nicht ordentlich schreiben kann in Klausuren. Das sagt mir jeder Lehrer, aber ich kann nicht ordentlich schreiben. Und da habe ich schon manchmal so das Bedürfnis einfach zu sagen: „Ja, so ihr habt mal ein bisschen Verständnis, ich habe ADHS."